Das Internationale Maritime Museum Hamburg unterstützt die Unterwasserarchäologie: Nach über 100 Jahren untersuchen Forscher vier versenkte Schiffe in der Nordsee.
Die Wracks des Seegefechts bei Helgoland von 1914
Es war der 28. August 1914, der für vier Schiffe der Kaiserlichen Marine zum Verhängnis wurde. Der Erste Weltkrieg dauerte gerade knapp vier Wochen, als es nahe Helgoland zum ersten größeren Seegefecht zwischen der deutschen und der britischen Flotte kam. Für die Kaiserliche Marine war es ein Desaster. Während die Briten keine Schiffsverluste erlitten, kostete das Gefecht die Deutschen die drei Kleine Kreuzer SMS Mainz, SMS Cöln und SMS Ariadne sowie das Torpedoboot V 187. Weitere deutsche Schiffe waren zum Teil schwer beschädigt worden; 1240 deutsche Seeleute hatten ihr Leben verloren, waren verwundet worden oder in Gefangenschaft geraten. 103 Jahre ruhten die in bis zu 43 Metern Tiefe liegenden Wracks unerforscht auf dem Meeresgrund. Jetzt gab es eine erste wissenschaftliche Expedition zu den Untergangsstellen unter Leitung des Kieler Unterwasserarchäologen Dr. Florian Huber. „Diese Schiffe sind wie eine Zeitkapsel. Sie können uns viel über den Verlauf des Gefechts und die damalige Zeit erzählen“ erklärt Huber die Gründe für den Tauchgang. Bei ihren Untersuchungen hatten die Wissenschaftler mit widrigen Bedingungen zu kämpfen: „Die unruhige See, die starke Gezeitenströmungen und Sichtweiten unter zwei Metern haben uns die Arbeit unter Wasser nicht ganz leicht gemacht“, berichtet Huber.
Gemeinsam mit seinem Team aus Forschungstauchern der Kieler Firma „Submaris“ hat Huber in der vergangenen Woche eines der versenkten Schiffe eindeutig als SMS Ariadne identifizieren können. Er und seine Taucher konnten die genaue Position und Lage feststellen sowie Foto- und Videoaufnahmen von dem Wrack machen.
Untergegangen und vergessen?
Der im Jahr 1900 in Bremen vom Stapel gelaufene Kleine Kreuzer SMS Ariadne war 105 Meter lang, zwölf Meter breit und hatte eine rund 260 Mann starke Besatzung. Im Gefecht vor Helgoland war die Ariadne nach schweren Beschuss durch britische Schlachtkreuzer schließlich gesunken, wobei 64 Besatzungsmitglieder starben. Am Wrack in über 40 Metern Tiefe angekommen, stellten die Forschungstaucher fest, dass die zwei bronzenen Schiffschrauben fehlen. „Abmontiert. Vermutlich aufgrund des Metallwerts“, sagt Huber, der jegliche Art des Schatztauchens aufs Schärfste verurteilt. Seinen archäologischen Forscherdrang weckte ein hölzerner Loskiel. Dabei handelt es sich um eine unter dem Kiel eines Schiffes angebrachte starke Holzplanke, die zum Schutz des Schiffsrumpfes vor Beschädigung bei Grundberührung dient. „Ein solcher Kiel ist ungewöhnlich für ein Schiff der Kaiserlichen Marine. Selbst Marinehistoriker waren überrascht, dass ein stählernes Schiff wie die Ariadne einen hölzernen Kiel besitzt,“ berichtet Huber. Die Frage ist nun, warum die Ariadne einen Loskiel hatte: „Da werden wir nochmal in den Bibliotheken und Archiven recherchieren.“
Die Unterwasserarchäologie: eine Goldgrube der Geschichte
Die Expedition vor Helgoland zeigt, dass die noch recht junge Disziplin der Unterwasserarchäologie mitunter überraschende Einblicke und Erkenntnisse ermöglicht. „Auch auf Ereignisse über die man fast alles zu wissen glaubte, können archäologische Funde ein neues Licht werfen,“ betont Huber. Über 10.000 Schiffe sind laut der UN-Kulturorganisation Unesco weltweit während des Ersten Weltkriegs gesunken. „Bei diesen Wracks handelt es sich um sehr komplexe archäologische Fundstellen und bedeutende historische Quellen“, sagt Huber. Sie stammen aus unterschiedlichen Nationen, liegen in verschiedenen Wassertiefen und repräsentieren eine Vielzahl an Schiffstypen und Bauarten. „Viele von ihnen zeigen den hohen Stand der Technik des 20. Jahrhunderts auf. Sie sind Zeugen einer der größten Konflikte der jüngeren Geschichte. Zugleich ermöglicht die Unterwasserarchäologie eine fächerübergreifende Zusammenarbeit. Aufgrund unserer Erkenntnisse können wir zusammen mit den Marinehistorikern darangehen, die damaligen Ereignisse aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten.“
Die diesjährigen Untersuchungen vor Helgoland waren der Auftakt eines langfristig angelegten Projekts. Für das nächste Jahr sind bereits weitere Tauchgänge an den anderen Wracks geplant, die seit dem Seegefecht im August 1914 unerforscht auf dem Grund der Nordsee liegen – und Stück für Stück verfallen. „Neben der Bewahrung und wissenschaftlichen Erforschung dieser Fundstellen ist es deshalb wichtig, ein öffentliches Bewusstsein für dieses sensible Thema zu schaffen. Der Schutz dieser Fundplätze unter Wasser – auch vor Raubtauchern – ist zudem wesentlich, um an die Schrecken des Krieges und dessen Geschichte zu erinnern“, betont der 41-Jährige Unterwasserarchäologe.
Das Internationale Maritime Museum Hamburg freut sich auf weitere Erfolge der Archäologen und auf die Möglichkeit, diese in Zukunft der Öffentlichkeit präsentieren zu können.
Unterstützt wird das interdisziplinär angelegte archäologische Projekt unter anderem vom Deutschen
Marinebund, dem Museum Helgoland, dem Internationalen Maritimen Museum Hamburg, der Jacobs University Bremen, der Christian-Albrechts-Universität Kiel, der Deutschen Gesellschaft zur Förderung der Unterwasserarchäologie e.V. (DEGUWA) sowie dem Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH).