Die Bilder der Sonderausstellung Kunst im Chaos sind historische Dokumente und Kunstwerke zugleich. Fotograph Heinrich Hamann überließ dabei nichts dem Zufall. Seine Arbeiten sind, wie man es von einem Berufsfotographen erwarten kann, penibel arrangiert. Darüber hinaus bediente er sich gewisser symbolischer Elemente und überlieferte mit seinen Aufnahmen Geschichte und Geschichten. Einige davon wurden erst sichtbar, als die Bilder für die Ausstellung hochauflösend aufgezogen wurden.
Kunst im Chaos
Der Auftrag, welchen Heinrich Hamann von den britischen Besatzungsbehörden Ende Mai 1945 erhielt, war auf den ersten Blick einfach: er sollte eine fotographische Dokumentation des Hamburger Hafens erstellen. Doch Hamann war kein Schnappschuss-Fotograf. Der damals 62jährige hatte bereits eine lange und erfolgreiche Karriere als Lichtbildner mit der Plattenkamera hinter sich. So hatte er unter anderem für die Hapag Albert Ballins gearbeitet und die heraufziehende technische Moderne sowie die Begleitumstände der Urbanisierung zu seinen Themen gemacht.
1945 muss es für ihn doppelt mühsam gewesen sein, mit einer schweren Plattenkamera und empfindlichen Glasplatten zu arbeiten, besonders in einer Trümmerlandschaft wie dem Hamburger Hafen. Die Bilder von Hamann erzählen davon, was ein sinnloser Krieg aus dem einst quirligen „Tor zur Welt“ gemacht hatte.
Das Chaos im Detail
Wir fragen den Ausstellungskurator, ob es eine Geschichte zu „Kunst im Chaos“ gäbe, die noch nicht erzählt worden wäre. „Viele“, antwortet er, und schickt uns zum Bild „Dampfer „Henry John“ und Dampfer „Rival“ vor dem Guanofleet“. Darauf kann man gesunkene Dampfer und die zerbombte Gebäudezeile an den Landungsbrücken erblicken. Der britische Bergungsschlepper „Southampton Salvor“ liegt vertäut am Kai und eine Barkasse durchquert das Bild. Dies allein wäre noch nichts Besonderes, wenn Heinrich Hamann sein Bild nicht so geschickt arrangiert hätte, dass das „B“ der Schornsteinmarke des Dampfers „Henry John“ voller Symbolik direkt unter dem Bismarckdenkmal im Hintergrund sitzen würde. Otto von Bismarck blickt dabei einsam auf die zerstörte Stadt und dreht dem Betrachter auch noch den Rücken zu.
Hamburger Sarkasmus
Dessen nicht genug, meinte der Kurator, sollten wir nach einem Schriftzug auf einer hellen Gebäudewand suchen. Der Schriftzug wäre kaum sichtbar, wäre das Bild in einem kleineren Format gedruckt worden. Zum Glück konnte man für die Ausstellung mit den Originalnegativen aus dem Archiv des IMMH arbeiten. Eigentlich ist der Schriftzug, um den sich handelt, zentraler im Bild angeordnet als das Bismarck-Denkmal und die „Henry John“. Und wer sich mit dem Werk von Heinrich Hamann beschäftigt, erkennt, dass hier kein Zufall im Spiel war. Man kann folgendes lesen:
„Das Herz von Sankt Pauli. Ein Ziel nur nachts.“
Für eine solche Botschaft bedarf es schon einer guten Mischung aus Sarkasmus und Mut. Hier werden das weltberühmte Nachtleben des Stadtteils und der Bombenkrieg in einem Satz verewigt.
Wer den Hamburger Hafen der Jahre 1945-1947 in atemberaubend düsteren, aber kunstvollen Fotographien erleben möchte, Geschichte lernen und Geschichten finden möchte, dem sei ein Besuch der Sonderausstellung „Kunst im Chaos“ empfohlen. Sie läuft noch bis Mitte März im Internationalen Maritimen Museum Hamburg auf Deck 1 und ist im Eintrittspreis enthalten.