Der Tanker Tina Onassis ist einer der Stars unserer Sonderausstellung „Howaldtswerke – eine Werft im Wirtschaftswunder“ (Nur noch bis kommenden Sonntag, 22. August!). In den 1950er und 1960er Jahren schrieb die Werft ein denkwürdiges Kapitel der Hamburger Schiffbaugeschichte. Mit dem Bau der Tina Onassis im Jahr 1953 schrieb sie Weltgeschichte.
Die Wiedergeburt des deutschen Schiffbaus
Der Zweite Weltkrieg hatte den deutschen Schiffbau ruiniert, wie auch andere Schwerindustrien und die meisten Bereiche der deutschen Wirtschaft. Der von den Alliierten am 1. August 1945 unterzeichnete Postdamer Abkommen enthielt ein Verbot für den Bau neuer Schiffe als Teil der Maßnahmen zur Entmilitarisierung des Landes. Dieses Verbot wurde von 1948 bis 1951 langsam aufgehoben. In diesem Jahr begann in Westdeutschland das so genannte Wirtschaftswunder. Eine lange Liste von Faktoren leitete eine Phase großen wirtschaftlichen Wachstums in der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland ein.
Gleichzeitig musste die deutsche Handelsmarine wieder aufgebaut werden, und die globale Logistikkette benötigte neue Schiffe. Damit begann ein goldenes Zeitalter des Schiffbaus im Lande, in dem die Hamburger Howaldtswerke eine Hauptrolle spielen sollten. Die deutschen Werften befanden sich im Wiederaufbau und boten eine Kombination aus modernen Anlagen, gutem Know-how und vergleichsweise niedrigen Preisen auf dem internationalen Markt. Dies weckte das Interesse internationaler Investoren, unter denen der Schifffahrtsmagnat Aristoteles Onassis (1906-1960) hervorstach.
Onassis zeigte ein besonderes Talent dafür, kalkulierte Risiken einzugehen und aus den geopolitischen Situationen und Krisen, die er in seiner Karriere durchlebte, Profit zu schlagen. In diesem Zusammenhang nahm er Kontakt zu einigen deutschen Werften auf, die während des Schiffbauverbots brach lagen. Im Jahr 1952 gründete er seine Reederei Olympic Maritime, von der er automatisch eine deutsche Niederlassung mit Sitz in Hamburg gründete. Über sie wird Onassis in den folgenden Jahren 300 Millionen Deutsche Mark in den Bau von Öltankern in Deutschland investieren. Die Tina Onassis war nicht nur einer von ihnen, sie war eine Revolution hinsichtlich der Größe, die ein Tanker haben sollte.
Der Bau der Tina Onassis
Anfang 1952 hatten die Howaldtswerke in Kiel den Auftrag erhalten, für die Firma World Tanker Inc. 8 Tanker mit einer Kapazität von 32500 DWT zu bauen. Man ging damals davon aus, dass dies die maximale Größe eines Tankschiffs sei und sprach von „Supertankern“. Aber die Firma Onassis wollte mehr als diese Größe. Am 15. Oktober 1952 wurde die Öffentlichkeit mit der folgenden Pressemitteilung überrascht:
Gigantischer Tanker aufgelegt!
Gestern wurde bei den Hamburger Howaldtswerken der erste Tanker mit einer Kapazität von 45000 Tonnen mit der Rumpfnummer 885 auf Kiel gelegt. Dieser größte Tanker der Welt – zwei Schwesterschiffe sind ebenfalls bestellt – wurde von der Central American Steamship Company in Auftrag gegeben, die dem Tankerbesitzer Onassis gehört. Dieser Tanker wird zwischen Mai und Juni 1953 vom Stapel laufen. Es wird etwa 220 m lang sein und nach seiner Fertigstellung eine Geschwindigkeit von 16 Knoten bei einer Leistung von 17500 PS erreichen.
Der Hinweis in der Pressemitteilung war nicht übertrieben, obwohl diese Zahlen für die damalige Zeit extrem hoch waren. Die Howaldtswerke in Hamburg waren mit dem Projekt ein großes Risiko eingegangen. Der Auftrag verlangte ein Schiff, das bis zu 50000 Kubikmeter Öl transportieren konnte, mit einem von Dampfturbinen angetriebenen Einzelpropeller und einer Geschwindigkeit von bis zu 16 Knoten. Außerdem musste das Schiff in der Lage sein, den Suezkanal zu passieren, wenn es mit nicht mehr als 4000 Tonnen weniger als seiner maximalen Kapazität beladen war. Der Suezkanal akzeptierte Schiffe mit einem maximalen Tiefgang von 10,5 m.
Die Howaldtswerke hatten Erfahrung im Bau von Tankern, aber die Form des Schiffsrumpfes musste neu sein. Insgesamt wurden 5 Entwürfe für Tests angefertigt. Die Hamburger Schiffbauversuchsanstalt, die HSVA, war nach dem Krieg zerstört und demontiert worden. Eine neue HSVA wurde 1952 gegründet, war aber noch nicht aktiv, als die Tests für die Tina Onassis durchgeführt werden mussten. Die Versuchsanstalt in Berlin hatte aufgrund des deutschen Schiffbaubooms eine lange Warteliste und konnte die Tests nicht übernehmen. Aus diesen Gründen wurden die Tests in der Schiffbauversuchsanstalt in El Pardo, Madrid, Spanien, durchgeführt. Jeder der 5 Entwürfe wurde als 6 m langes, maßstabsgetreues Testmodell gebaut. Weitere Tests wurden durchgeführt, um die Form des Propellers zu bestimmen. Die Suche nach einem passenden Entwurf war noch komplizierter, weil die Schifffahrtsklassifikationsgesellschaften (in diesem Fall der Germanische Lloyd) nur Bauvorschriften für Tanker bis zu einer Größe von 32000 DWT erlassen hatten. Der Bau dieses Schiffes war ein Abenteuer auf unbekanntem Terrain. Das Ergebnis war nicht nur ein äußerst sicheres und seetüchtiges, sondern auch ein sehr elegantes Schiff. Die Linienführung der Tina Onassis war klassisch, fast yachtartig. Sie erfüllte oder übertraf alle und jeden einzelnen Anspruch ihres Eigners.
Ein besonderer Vorteil des Schiffes war sein Pumpsystem. Es hatte eine Kapazität von bis zu 1000 Tonnen Öl pro Stunde. Das bedeutete, dass das Schiff in nur 9 Stunden vollständig gefüllt oder geleert werden konnte, was den Aufenthalt in einem Hafen auf etwa 10 Stunden reduzierte. Schon damals gab es Bedenken, wie sich dieser schnelle Betrieb, der den Eigentümern viel Geld einbrachte, auf die Besatzung auswirkte. Damals waren die Landgänge in der Handelsmarine recht lang, so dass die Seeleute in jedem Hafen einen kleinen Urlaub hatten. An Bord der Tina Onassis wäre das nicht möglich gewesen. Zum Ausgleich wurden die Unterkünfte für die Besatzung mit großer Sorgfalt gebaut. Die Kabinen waren geräumig, und die Möbel waren von hoher Qualität. Im Allgemeinen entsprachen die Unterkünfte der Besatzung denen einer zweiten Klasse an Bord eines Ozeandampfers der 1950er Jahre – was ein ziemlicher Luxus war. Das Problem kürzerer Hafenaufenthalte für Seeleute hat in der Handelsmarine seit der Containerisierung zugenommen, und nicht viele moderne Schiffe kompensieren dies durch mehr Komfort für die Menschen an Bord.
Stapellauf der Tina Onassis
Der Stapellauf der Tina Onassis fand am 25. Juli 1953 statt – mit leichter Verspätung zur Vorhersage in der Presseerklärung. Es war ein historisches Ereignis für Hamburg, zu dem 20000 geladene Gäste auf der Werft und etwa 80000 vom Ufer aus kamen. Alle Schiffe und Hafenfähren waren ausgebucht. Der Senat der Stadt hatte den Termin auf einen Sonntag gelegt, um möglichst vielen Bürgern die Teilnahme an der Feier zu ermöglichen. Der Termin wurde mit Meteorologen abgesprochen, um „griechisches Wetter“ zu gewährleisten. Die gesamte Hamburger Prominenz stand neben dem Schiff.
Die Zeremonie begann um 15 Uhr. Schecker, der Direktor der Howaldtwerke, hielt die Eröffnungsrede, in der er daran erinnerte, dass an gleicher Stelle, am 23. Mai 1912, der Ozeandampfer SS Imperator vom Stapel gelaufen war – das damals größte Handelsschiff der Welt. Nach einer Liste von Danksagungen stellte er die Stars der Veranstaltung vor: die Familie Onassis. Es war die zweieinhalbjährige Christina Onassis, die den Knopf drückte, um die Champagnerflasche gegen den Rumpf zu schießen und das Schiff nach ihrer Mutter Athina Mary „Tina“ Onassis zu benennen, und ihr fünfjähriger Bruder Alexander Onassis, der den Knopf drückte, um den Stapellauf des Schiffes zu starten. Alles funktionierte perfekt. Eine Liste von 200 VIPs feierte an diesem Abend mit dem Ehepaar Onassis im Hotel Atlantik. Die Tina Onassis war bereit, ihre Karriere zu beginnen.
Ihre Karriere verlief erfolgreich und ohne nennenswerte Zwischenfälle. Doch Mitte der 1970er Jahre war aus dem einst größten Tanker der Welt ein kleines Schiff geworden. Die Ereignisse des Sechs-Tage-Kriegs führten dazu, dass Ägypten den Suezkanal schloss, was eine internationale Krise und eine Verknappung des Öls zur Folge hatte. Die Industrie reagierte mit der Entwicklung der Very Large Crude Carriers (VLCC) und der Ultra Large Crude Carriers (ULCC). Diese gigantischen Tanker wurden für lange Fahrten rund um Afrika oder Südamerika gebaut, um enorme Mengen an Rohöl zu transportieren und den Preis für die Reise zu senken. Tanker wie die Tina Onassis konnten zu diesem Zeitpunkt einfach nicht mit ihnen konkurrieren. Aus diesem Grund wurde die Tina Onassis an die Yung Tai Steel & Iron Works Company in Kaohsiung, Taiwan, geschickt, wo am 3. September 1975 die Abwrackarbeiten begannen.