Schifffahrt vor der Nordostküste, 1845
John Wilson Carmichael gilt als einer der bedeutendsten Marinemaler des Viktorianischen Zeitalters. 1800 als Sohn eines Schiffszimmerers in Newcastle-upon-Tyne geboren, fährt er während der Napoleonischen Kriege eine Zeit lang zur See und geht dann bei einem Schiffbauer in die Lehre. Im Alter von 23 Jahren lässt er sich in Newcastle als Zeichner und Maler nieder. Er erwirbt sich einen Ruf für akribische Genauigkeit und ein Gespür für Atmosphärisches sowie die Details maritimer Ereignisse. Diese „dokumentarischen“ Fähigkeiten kommen ihm 1854/55 bei seinem Auftrag, für die London Illustrated News den Krimkrieg in der Ostsee festzuhalten, zugute. Mit zunehmender Bekanntheit stellt Carmichael regelmäßig an der Royal Academy und der British Institution in London aus.
Carmichaels fundierte Kenntnis von maritimen Wetterlagen und Takelage der Schiffe spiegelt sich auch in diesem Bild wider. Es zeigt in realistischer, nahezu feinmalerischer Manier eine Gruppe von Handelsschiffen vor einer Hafeneinfahrt – markiert durch einen Leuchtturm am linken Bildrand – wie sie bei stürmischem Wetter und schwerem Seegang kreuzen, ausfahren oder versuchen, sicher in den Hafen zu gelangen. Die raue und felsige Nordostküste Englands stellte von jeher hohe Anforderungen an die Schifffahrt; zwischen 1740 und 2000 werden allein zwischen Berwick und Whitby 350 Schiffbrüche verzeichnet. Auf diese Gefahr scheinen auch Schiffsplanke und abgebrochener Mast als Requisiten im Bildvordergrund zu verweisen. Der Klipper im Bildfokus, über dessen Bordwand gerade eine Gischtwelle schwappt, ist der Gefahr der nahen Küste jedoch gewahr; er hat die Segel gerefft, um Fahrt raus- zunehmen.