In der Straße von Gibraltar, 1845
Anton Melbye verbindet in seinen Seestücken ein fundiertes Naturstudium und die exakte Wiedergabe des Aufbaus von Schiffen mit einer gefühlvollen Durchdringung von Licht- und Wetterverhältnissen auf See. Der bizarre Dreiecksfelsen in der Meerenge von Gibraltar hat den weitgereisten Künstler nachhaltig fasziniert und zu einer Vielzahl von Bildern angeregt, bei denen er die atmospärische Stimmung variiert und verschiedene Bootstypen in wechselnder Distanz und Segelstellung formal zu dem charakteristischen Felsen in Beziehung setzt.
Dieses Gemälde zeigt, dass der Künstler die Anfänge der Industrialisierung bewusst wahrgenommen und zum Bildthema erhoben hat. Wie in einem Guckkasten wird unser Blick über weitrollende türkisgrüne Wellen hinweg auf das Zusammentreffen eines traditionellen Großseglers mit einem Raddampfer gelenkt, die sich in der windigen Straße von Gibraltar passieren. Dabei pflügt der Raddampfer mit der Rauchfahne gegen alle Widerstände in Richtung „Neue Welt“ auf den Atlantik hinaus, der Dreimaster hingegen segelt mit dem Wind ins Mittelmeer Richtung „Alte Welt“ – eine für die Zukunft der Schifffahrt im 19. Jahrhundert bedeutende Wachablösung. Als Melbye das Gemälde 1845 malte, fing die transatlantische Dampfschifffahrt gerade an, Bedeutung zu gewinnen. 1838 gelang den Dampfern „Sirius“ und „Great Western“ die erste Atlantiküberquerung ohne Segel – beide Schiffe erreichten am 23. April nach 18 bzw. 14 Tagen den Hafen von New York. Ein traditionelles Segelschiff hingegen brauchte für diese Reise etwa 33 Tage. Virtuos inszeniert Anton Melbye hier die Leistungskraft des ab ca. 1850 seriell gebauten neuen Schiffstyps und bringt den Fortschrittsglauben seiner Epoche malerisch zum Ausdruck.