C.B. 4051 (24)
DEUTSCHES SCHLACHTSCHIFF BISMARCK
Verhöre der Überlebenden
August 1941
MARINE-NACHRICHTENABTEILUNG,
ADMIRALITÄT, S.W.1.
N.I.D. 08409/43.
Der nachfolgende Bericht wurde aus Informationen von Kriegsgefangenen zusammengestellt. Die gemachten Angaben können nicht immer überprüft werden; sie sollten daher nicht als Tatsache akzeptiert werden, es sei denn, sie werden durch Informationen aus anderen Quellen definitiv bestätigt.
VERHÖRE DER ÜBERLEBENDEN DES DEUTSCHEN SCHLACHTSCHIFFES
„BISMARCK“, VERSENKT UM 10.37 UHR AM DIENSTAG, DEN 27. MAI, 1941,
AUF POSITION 48° 09′ N. UND 16° 07′ W.
I. EINLEITENDE BEMERKUNGEN
Von den insgesamt zwischen 2.300 und 2.400 Offizieren und Mannschaften, die sich zum Zeitpunkt der Versenkung der „Bismarck“ an Bord befunden haben sollen, haben nur 110, darunter 4 Offiziere, überlebt, von denen 75 für ein Verhör ausgewählt wurden.
Aufgrund der Unerfahrenheit und der Jugend der meisten Überlebenden, von denen viele unter zwanzig Jahre alt waren, war es nicht möglich, viele zuverlässige Informationen zu erhalten. Die meisten der Überlebenden hatten nur Kenntnis von ihrem eigenen Teil des Schiffes, und die Gefangenen betonten, dass weder die Offiziere noch die Männer mehr Informationen erhielten, als für die Erfüllung ihrer jeweiligen Aufgaben erforderlich waren. Aus den Verhören ging hervor, dass der Schiffsbesatzung viele Informationen absichtlich vorenthalten worden waren, da die weitgehende Unterteilung des Schiffes in wasserdichte Abteilungen einen Austausch von Informationen verhinderte, der andernfalls hätten allgemein bekannt werden können.
In Anbetracht der außergewöhnlich schweren Erfahrungen ist es bemerkenswert, wie gut die Überlebenden ihr Martyrium überstanden haben.
II. OFFIZIERE UND SCHIFFSBESATZUNG
Aus den Aussagen der Gefangenen geht hervor, dass die normale Besatzung der „Bismarck“ zwischen 2.100 und 2.200 Offiziere und Männer betrug, und es wurde vermutet, dass diese relativ große Besatzung auf die ausgeklügelte Unterteilung des Schiffes in wasserdichte Abteilungen zurückzuführen war.
Der kommandierende Offizier, Kapitän z. See Ernst Lindemann, wurde am 28. März 1894 geboren und trat im April 1913 in die Kaiserliche Marine ein.
Im März 1938 wurde er zum Kapitän befördert und Leiter der Ausbildungsabteilung der Admiralität. Von Kapitän Lindemann ist bekannt, dass er im Juli 1939 das Kommando über das Schlachtschiff „Deutschland“ innehatte, aber es ist nicht bekannt, wann er auf die „Bismarck“ versetzt wurde, es wird angenommen, dass er das Kommando bei der Indienststellung am 24. August 1940 übernahm.
Die Gefangenen kritisierten ihre Offiziere, indem sie aussagten, dass einige von ihnen „eigenartig“ und andere faul waren und dass die Divisionsoffiziere sich wenig um ihre Männer kümmerten; es wurde sogar behauptet, dass einer der Offiziere ein Idiot gewesen sei.
Die Gefangenen waren sich im Allgemeinen darüber einig, dass die „Bismarck“ eine außergewöhnlich junge und unerfahrene Besatzung hatte. Für viele der Männer war die „Bismarck“ ihr erstes Schiff, auf das sie nach einer mehrmonatigen seemännischen Ausbildung kommandiert waren. Im Großen und Ganzen missfiel es den Gefangenen, auf einem Schlachtschiff zu dienen, da sie sich auf einem kleineren Schiff unabhängiger gefühlt hätten. Viele waren in der Hitlerjugend gewesen und hatten dann zivile Berufe wie Bergmann, Landarbeiter, Angestellter, Friseur, Klempner, Koch, Elektriker, Mechaniker usw. ausgeübt und stammten aus allen Teilen Deutschlands sowie aus Österreich und der Tschechoslowakei.
Die Unteroffiziere waren körperlich gut entwickelt und besaßen ein gutes Auffassungsvermögen, aber die jüngeren Männer waren sowohl geistig als auch physisch schlecht entwickelt, und diejenigen, die ihre Stationen unter Deck hatten, schienen unter einem Mangel an frischer Luft zu leiden. Häftlinge gaben an, dass es zwischen den Unteroffizieren und den Mannschaften spürbare Reibereien gab, die zu einem fehlenden Zusammenhalt führten, was zum Teil auch auf die Aktivitäten von Parteifunktionären zurückzuführen sein mag.
III. ADMIRAL LÜTJENS
Admiral Günther Lütjens wurde am 25. Mai 1899 in Wiesbaden geboren, trat im April 1907 in die Kaiserliche Marine ein und wurde 1910 zum Leutnant befördert.
1934 kommandierte er den Kreuzer „Karlsruhe“ auf einer achtmonatigen Ausbildungsfahrt nach Übersee und war später abwechselnd Stabschef der Marinestation der Nordsee, Chef des Marinepersonalamtes in Berlin und Führer der Torpedoboote.
Zu Beginn des Polenfeldzuges spielte er persönlich eine herausragende Rolle auf dem Flottillenführer „Leb[e]recht Maas[s]“ und zeichnete sich später bei Mineneinsätzen vor der britischen Ostküste aus.
Am 1. September 1940 wurde Lütjens zum Admiral befördert und erhielt das Kommando über die Aufklärungsstreitkräfte.
Obwohl Lütjens während der Polen- und Norwegenfeldzüge und später im Handelskrieg beachtliche Erfolge erzielt hatte, war er wegen seines Rufs unter den Mannschaften nicht gerade zu beneiden. Während seines Kommandos auf der „Gneisenau“ war er vom Pech verfolgt, und Abergläubige sahen in ihm einen „Jonas“. Dieser Ruf folgte ihm auf die „Bismarck“, was zu einer bedrückenden Atmosphäre führte.
Außerdem besaß der Admiral ein aufbrausendes Temperament, das später zu offenen Auseinandersetzungen mit dem Kommandanten führte und die Moral zu untergraben drohte.
Die Ereignisse, die zur Zerstörung der „Bismarck“ führten, und die fehlende Unterstützung durch U-Boote, Flugzeuge oder andere Einheiten deuten auf eine Schwäche in der Zusammenarbeit zwischen dem Admiral und den Landkommandos hin, die zum Teil auf fehlerhafte Stabsarbeit zurückgeführt werden kann.
Gefangene, die sich abfällig über Admiral Lütjens äußerten, kritisierten auch Großadmiral Heinrich [Korr.: Erich] Raeder. Raeder sei in der Marine nicht beliebt und stehe der Beförderung verdienter Offiziere im Wege. Außerdem sei er ein „Wendehals“, der bereit sei, unter jeder politischen Führung zu dienen.
(2) Gefecht mit H.M.S. „Hood“
H.M.S. „Hood“ (Kapitän R. Kerr, C.B.E., R.N.), die die Flagge von Vizeadmiral L. E. Holland, C.B., führte, mit H.M.S. „Prince of Wales“ (Kapitän J. C. Leach, M.V.O., R.N.) und einer Zerstörersicherung hatte sich auf den Weg gemacht, die „Bismarck“ abzufangen, seit diese am 23. Mai um 20.32 Uhr von der „Norfolk“ gesichtet worden war. Der Kontakt wurde am 24. Mai um 0535 in der Dänemarkstraße hergestellt, und die „Hood“ und die „Prince of Wales“ verringerten die Entfernung zum Angriff. Das Gefecht wurde um 05.53 Uhr auf 22.800 Meter begonnen. Die „Hood“ feuerte nach Angaben von „Bismarck“-Gefangenen zuerst, und diese Salve lag zu weit. Eine zweite Salve von „Hood“ lag zu kurz, aber die dritte saß, und insgesamt drei Granaten trafen die „Bismarck“.
In der Zwischenzeit hatte die „Bismarck“ das Feuer auf die „Hood“ mit ihrer Hauptartillerie und ihrer Backbord-Mittelartillerie mit panzerbrechenden Granaten eröffnet und feuerte Salven aus vier 38 cm-Geschützen. Die anfängliche Gefechtsentfernung wurde von Gefangenen mit 23.000 Metern angegeben. Einem Gefangenen zufolge sprach Fregattenkapitän Schneider, der 1. Artillerieoffizier, sein Ziel nicht als die „Hood“ an und glaubte, er schieße auf einen britischen Kreuzer. Er wurde vom 2. Artillerieoffizier, Korvettenkapitän Albrecht, korrigiert, der sagte: „Herr Schneider, achten Sie auf die Aufbauten, Sie wissen nur zu gut, welches Schiff der britischen Flotte diese Aufbauten hat. Das ist kein anderes als der Schlachtkreuzer ‚Hood‘!“ Der Gefangene, der diesen Vorfall schilderte, fügte hinzu: „Wer von uns hätte jemals gedacht, dass wir in eine Seeschlacht verwickelt werden würden! Wir hatten nur daran gedacht, Handelskrieg zu führen und uns an Deck zu sonnen.“
VI. DIE VERSENKUNG DER „BISMARCK“
Um 08.51 Uhr hatte die „Rodney“ die „Bismarck“ eingegabelt, aber erst um 08.57 Uhr erhielt die „Bismarck“ nach Angaben von Gefangenen ihren ersten Treffer. Die „Bismarck“, so scheint es jetzt, hatte zunächst beabsichtigt, die Zerstörer mit ihrer Hauptartillerie anzugreifen, aber bevor eine Salve abgefeuert wurde, wurden neue Anweisungen gegeben, auf die „Rodney“ zu feuern. Das Feuer wurde nun eröffnet, wobei die vorderen und hinteren Geschütztürme abwechselnd in Vierersalven schossen. Die Entfernung verringerte sich rasch. Das Feuer wurde zu diesem Zeitpunkt vom oberen Leitstand (Vormars) aus kontrolliert, aber nach 25 Minuten erhielt dieser einen Treffer und wurde völlig zerstört. Kapitänleutnant von Müllenheim-Rechberg [Anm.: 4. Artillerieoffizier und ranghöchster Überlebender] glaubt, dass dieser Treffer von einer Granate der „Dorsetshire“ erzielt wurde, die den Gefechtsort erreicht hatte. Der Offizier erklärt, dass er glaubt, dass die „Bismarck“ sich gegen die „Rodney“ und die „King George V“ hätte behaupten können, wenn es nicht diesen Treffer gegeben hätte, der, bildlich gesprochen, „der ‚Bismarck‘ das Hirn weggeblasen“ habe.
Unter Deck spielten sich unbeschreibliche Szenen ab. Ein Volltreffer im achteren Hilfslazarett tötete das Sanitätspersonal und die Verwundeten. Luken und Türen in allen Teilen des Schiffes hatten sich durch Verformung verklemmt, was auf die heftigen Schläge, die das Schiff erlitt, zurückzuführen war, aber auch darauf, dass schwere Wrackteile nun über den meisten Luken lagen, die sich zum Oberdeck hin öffneten. Die Besatzungen zweier Munitionsmagazine wurden eingeschlossen, da sie nicht in der Lage waren, die Ausstiegsluken zu öffnen. Während die Rettungskräfte verzweifelt versuchten, die Eingeschlossenen zu befreien, stieg die Temperatur in den Magazinen wegen brennender Räume darüber auf ein gefährliches Maß. Schließlich wurde die Wahrscheinlichkeit einer Explosion so groß, dass die Rettungsarbeiten eingestellt wurden. Es wurde Befehl zum Fluten gegeben und die eingeschlossenen Männer ertranken.
In einer Messe vorn waren 200 Männer durch verklemmte Luken ebenso gefangen. Genau in dem Moment, als eine Luke zum Oberdeck frei wurde, durchschlug eine Granate das Deck und verwandelte die Messe in ein Leichenhaus. Einem Gefangenen zufolge überlebte kein einziges der 200 Besatzungsmitglieder, und bei seiner eigenen Flucht musste er sich zwischen „Bergen von Fleisch und Knochen“ durchschlagen. Dieser Gefangene beschrieb auch, wie er durch einen Funkraum ging, in dem das gesamte Personal in Stücke gerissen worden war.
Im Hinblick auf die Endphase des Gefechts ist es vielleicht von Interesse, dass ein Gefangener die Tatsache erwähnte, dass Mitglieder der Propagandakompanie die Schlacht gefilmt hatten, und bemerkte, dass, wenn diese Filme jemals in Deutschland gezeigt worden wären, es keine Freiwilligen mehr für die deutsche Kriegsmarine gegeben hätte.