IMMH
Werftmodell der Queen Mary 2 auf Deck 6 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.

Die Entstehung der Queen Mary 2

Unser Freund Marinearchitekt Dr Stephen Payne hat uns die Geschichte der Entstehung der Queen Mary 2 zu Weihnachten geschenkt. Dieses Geschenk möchten wir nun mit Euch teilen. Hier ist die deutsche Übersetzung des Artikels. 

Werftmodell der Queen Mary 2 auf Deck 6 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.
Werftmodell der Queen Mary 2 auf Deck 6 des Museums.

Das englische Original wurde in drei teilen auf Facebook und Instagram veröffentlich. Hier sind die Facebook-Links:


Dr. Stephen Payne beschreibt, was ihn dazu inspirierte, Schiffsarchitekt zu werden, und seinen Traum, einen Transatlantikliner zu entwerfen und zu bauen: die Queen Mary 2

Die Queen Mary 2: ein Kindheitstraum

Als kleiner Junge kam ich jeden Montag- und Donnerstagnachmittag von der Schule nach Hause und wartete sehnsüchtig auf das BBC-Kinderprogramm „Blue Peter“, das um 17 Uhr begann. Das Programm wurde live ausgestrahlt und enthielt Nachrichten, aktuelle, für Kinder relevante Themen, Kochvorführungen, Spielzeug-Bauprojekte aus preiswerten Materialien, Spendenaktionen und voraufgezeichnete Reportagen. An einem Tag saß ich vor dem körnigen Schwarz-Weiß-Fernsehbild und sah mir einen Beitrag rund um das Cunard-Flaggschiff RMS Queen Elizabeth (1940) an. Zwei der Moderatoren gingen in Cherbourg an Bord des Schiffes und segelten mit ihm über den Kanal nach Southampton. Sie besuchten die Brücke, die Kombüse, den Maschinenraum, einige Kabinen und die öffentlichen Räume. Ich schaute ehrfürchtig zu und wusste damals, dass ich, wenn ich erwachsen bin, einen neuen Ozeandampfer entwerfen und bauen wollte, der der Queen Elizabeth Konkurrenz macht. Und so begann meine Faszination für Schiffe und Ozeanriesen. Inzwischen habe ich herausgefunden, dass die Sendung am 23. Mai 1965 ausgestrahlt wurde – als ich fünf Jahre alt war.

Einige Jahre später, am 20. September 1967, verfolgte ich den Stapellauf der neuen Queen Elizabeth 2 (QE2) von Cunard, wieder auf unserem Schwarz-Weiß-Fernseher. Zwei Jahre später, im Juni 1969, fuhren wir während eines Familienurlaubs nach Bournemouth, nicht weit von Southampton entfernt, mit dem Bus zum Hafen, um die QE2 zu besichtigen; sie war gerade einen Monat in ihrer illustren Karriere und sah so neu und modern aus. Dieser Tag wurde noch spezieller, als die SS United States auf einer ihrer letzten Fahrten ruhig in den Hafen einlief, während die exquisite Andes der Royal Mail Line sich auf eine weitere Kreuzfahrt vorbereitete. Drei Jahre später, im Januar 1972, wurde die ehemalige Queen Elizabeth, nun umbenannt in Seawise University, von Brandstiftern im Hafen von Hongkong zerstört, während sie zu einer Kombination aus Kreuzfahrtschiff und schwimmender Universität umgebaut wurde. 

„Blue Peter“ sendete an diesem Tag grausame Bilder des Schiffes in seinem Todeskampf. Es folgte ein ausführlicher Artikel im „Blue Peter Annual“ von 1972 – das ich in diesem Jahr zu Weihnachten erhielt. Es gab eine schöne Schnittzeichnung des Schiffes zusammen mit verschiedenen Bildern, die die Tugenden der Queen Elizabeth anpriesen. Allerdings ärgerte mich der letzte Satz des Artikels wirklich, als es hieß: „Die Queen Elizabeth war ein Superliner, und nichts wie sie wird jemals wieder gebaut werden“. Hatten sie denn nicht gehört, dass ich genau das machen wollte? Hatte ich nicht vor, ein größeres und besseres Schiff zu entwerfen und zu bauen? Glücklicherweise lernten wir genau zu dieser Zeit in der Schule, wie man Beschwerdebriefe schreibt, und so schrieb ich meinen als Hausaufgabe an Blue Peter und teilte ihnen mit, dass ich entschlossen sei, erwachsen zu werden, mein Schiff zu bauen und ihnen das Gegenteil zu beweisen. Ich schickte den Brief tatsächlich an „Blue Peter“ und hoffte auf eine Antwort mit einer goldenen Blue-Peter-Plakette, der höchsten Auszeichnung der Sendung, für meine Ideen und meinen Ehrgeiz. Unvermeidlich erhielt ich mit der Zeit eine bescheidene Blaue Plakette mit einer Notiz, die besagte, dass den Moderatoren mein Brief und meine Ideen gefallen hätten, aber nicht enttäuscht sein solle, wenn sie nie realisiert würden!

Das Transatlantic-Liner Queen Mary 2 im Masstab 1:350 und Marinearchitekt Stephen Payne im Maßstab 1:1 auf deck 6 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.
Das Transatlantic-Liner Queen Mary 2 im Masstab 1:350 und Marinearchitekt Stephen Payne im Maßstab 1:1 auf deck 6 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.

Ein Transatlantik-Liner, kein Kreuzfahrtschiff 

Mit Hilfe meines Physiklehrers Justin Johnson sicherte ich mir einen Studienplatz an der University of Southampton, um Schiffswissenschaft zu studieren – ein schicker Name für Marinearchitektur, und ich machte im Sommer 1984 meinen Abschluss. Nachdem ich neun Monate bei Marconi Radar gearbeitet hatte, wurde ich zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen und bei der Technical Marine Planning Limited in London angenommen, die für die Überwachung des Baus der Kreuzfahrtschiffe für Carnival Cruise Lines‘ verantwortlich war. Im Jahr 1995 wurden wir in Carnival integriert. Zu diesem Zeitpunkt waren wir bereits mit Kreuzfahrtschiffen für die anderen Carnival-Marken Holland America Line und Costa Cruises sowie für die eigene Marke beschäftigt. Ich fragte mich, ob wir jemals wieder einen echten Liner bauen würden, da alle unsere Schiffe definitiv Kreuzfahrtschiffe waren. Dann, im Mai 1998, während ich als Passagier an Bord der QE2 von New York nach Southampton über den Atlantik segelte, gab es die unerwartete Ankündigung, dass die Carnival Corporation Cunard übernehmen würde und dass eine Studie in Auftrag gegeben werden sollte, um zu prüfen, ob es wirtschaftlich sinnvoll wäre, die alternde QE2 durch einen neuen Transatlantik-Liner zu ersetzen. Ich erfuhr bald, dass man mir die Leitung des Projekts übertragen würde und dass es meine Aufgabe sein würde, das Design des Schiffes zu leiten. Das große Problem für mich war, dass die Atlantikroute einen „echten Liner“ und nicht nur ein Kreuzfahrtschiff erforderte; der Liner-Aspekt würde mehr Leistung, Stärke, Reichweite und interne Attraktionen als ein Kreuzfahrtschiff erfordern, alles verpackt in einen Rumpf und Aufbauten, die für den Atlantik geformt und optimiert sind, anstatt die Einnahmen zu maximieren. Das alles würde einen Kostenaufschlag von 40 % bedeuten, während mir gleichzeitig gesagt wurde, dass Carnival die gleiche (oder bessere) Kapitalrendite erwartet, die sie mit ihren Kreuzfahrtschiffen erzielt haben.

Ich stieß bald auf den Widerstand von Leuten, die dachten, dass ein Schiff, dass wie ein Liner aussieht, die Anforderungen ein echter Liner erfüllen würde. Erst als ich ein Bild des italienischen Liner Michelangelo zeigte, das in einem Sturm 1966 schwer beschädigt wurde – bei dem die Vorderseite der Aufbauten vom Meer aufgerissen worden war und mehrere Passagiere aus ihren Kabinen über Bord gespült hatte – war der Streit beigelegt. Man einigte sich darauf, dass das Schiff ein echter Liner sein sollte.

Ich wusste, dass die einzige Möglichkeit, das Schiff wirtschaftlich zu machen, darin bestand, sich ein Axiom des Schiffbaus und des Schiffsbetriebs zunutze zu machen. Je größer man das Schiff baut, desto geringer sind die Kosten pro Passagierbett auf dem Schiff und desto günstiger ist der Betrieb des Schiffes pro Passagier. Also musste das neue Schiff deutlich größer sein als die QE2. Sie wurde schließlich doppelt so groß und ihre Größe wurde weitgehend durch die Hafenanlagen in Southampton und New York für die Länge und die Durchfahrt unter der New Yorker Verrazano Narrows Bridge für die Höhe diktiert.

Um das Ertragspotenzial zu maximieren, musste die Anzahl der Balkonkabinen maximiert werden – aber wie konnte ich sie vor dem manchmal feindlichen Nordatlantik schützen? Die Lösung bestand darin, die öffentlichen Bereiche von der Spitze des Schiffes, wo sie sich auf der QE2 befunden hatten, nach unten in den Rumpf zu verlagern. Indem ich ihre Höhe von den üblichen 3,5 Metern auf 4,5 Meter erhöhte, baute ich eine ausreichende Höhenreserve ein, so dass die Kabinen über den öffentlichen Räumen Balkone haben konnten – wenn auch an der Vorderseite durch eine Stahlwand geschützt, die wir ein Schanzkleid nennen. Das Schiff würde drei solcher Decks mit „geschützten“ Balkonkabinen haben, mit normalen verglasten Balkonen oberhalb des Bootsdecks, wo die Wellen nicht so ein Problem darstellen würden! Mit dieser Zweckmäßigkeit erhielt das Schiff genügend Balkonkabinen, um sich selbst zu finanzieren, und die öffentlichen Räume konnten in einem epischen Ausmaß gebaut werden, wie man es seit den Staatsschiffen der 1930er Jahre – der Normandie und der Queen Mary – nicht mehr gesehen hatte.

Die Queen Mary 2 aus Lego im Maßstab 1:50, auf Deck 1 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.
Die Queen Mary 2 aus Lego im Maßstab 1:50, auf Deck 1 des Internationalen Maritimen Museum Hamburg.

Die Entstehung der Queen Mary 2

Passagierschiffe werden in der Größe nach Volumen gemessen und die Bruttotonne ist eine Volumen-, keine Gewichtseinheit. Die alte Queen Elizabeth hatte 81.000 Bruttoregistertonnen, QE2 ursprünglich 65.000 Bruttoregistertonnen und das neue Schiff, das sie in den Schatten stellen sollte, wurde auf 150.000 Bruttoregistertonnen geschätzt. Um das Schiff anzutreiben, entschied ich mich für einen Gondelantrieb anstelle eines konventionellen Wellenantriebs. Vier riesige Gondeln würden benötigt, die jeweils einen 21,5-mW-Elektromotor enthielten, der einen vierblättrigen Propeller aus Edelstahl antrieb. Jede Pod-Baugruppe wog 320 Tonnen; die beiden vorderen Pods sollten fest montiert werden, um entweder Vorwärts- oder Rückwärtsschub zu liefern, während das hintere Paar steuerbar sein sollte, um das Schiff zu manövrieren… kein Ruder erforderlich! Durch die Verwendung von Gondeln wurde ein Gewinn an Antriebseffizienz von ca. 7 % im Vergleich zu Wellenleitungen erzielt, mögliche Vibrationen wurden erheblich reduziert, und wir konnten auf kostspielige Seitenstrahlruder am Heck verzichten, da die beiden hinteren Gondeln in dieser Funktion verwendet werden konnten. Die Hauptmaschinenanlage würde auf einem Kraftwerk basieren und vier riesige mittelschnelllaufende Dieselmotoren und zwei Gasturbinen umfassen, die zusammen etwa 120 MW leisten würden – genug Strom für eine Stadt mit 200.000 Einwohnern; 85 MW würden für den Antrieb und 16 MW für die „Hotel“-Last (Beleuchtung, Klimaanlage, Kombüse usw.) verwendet werden. Der Rest wären Verluste. Mit den Dieselmotoren allein würde das Schiff unter ruhigen Bedingungen etwa 23 Knoten erreichen, während es mit allen Motoren im Betrieb etwa 29,5 Knoten erreichen würde.

Ich habe das Layout-Design und die Basisspezifikation fünf führenden europäischen Werften vorgelegt. In der abschließenden Analyse von Preis und Lieferzeit lagen Chantiers de L’Atlantique (CAT) in St. Nazaire, Frankreich, und Harland & Wolff, Belfast, Nordirland, gut gleichauf, aber Harland benötigte staatliche Unterstützung bei der Sicherung der Finanzierung, während die französische Werft dies nicht tat. Am Ende hatte Harland keine andere Wahl, als sich aus dem Rennen zurückzuziehen, als die versprochene Hilfe ausblieb. Das Schiff wurde schließlich am 6. November 2000 bei CAT unter Vertrag genommen und auf den Namen Queen Mary 2 getauft. 

Nach einem Jahr detaillierter Konstruktionsarbeit wurde am 16. Januar 2002 der erste Stahl geschnitten und am 4. Juli desselben Jahres wurde das Schiff durch das Zusammenfügen der ersten beiden Baublöcke im Baudock von St. Nazaire auf Kiel gelegt. Bis zum 21. März 2003 wurden 98 Blöcke mit einem Gewicht von jeweils bis zu 600 Tonnen montiert, insgesamt wurden 50.000 Tonnen Stahl und 8.000 Tonnen Ausrüstung zusammengeführt und das Schiff schwamm aus dem Baudock zum Ausrüstungskai, wo die Inneneinrichtung installiert wurde. Nach erfolgreicher Seeerprobung im September und November 2003 wurde das Schiff am 22. Dezember abgeliefert.

Nach der Taufe durch Ihre Majestät die Königin am 8. Januar 2004 wurde die Queen Mary 2 vier Tage später als größtes Passagierschiff, das die Welt je gesehen hat, in Dienst gestellt. Die Gesamtkosten beliefen sich auf etwa 1 Milliarde US-Dollar, und es wurde vorhergesagt, dass das Schiff in weniger als sieben Jahren den Break-Even erreichen würde. Obwohl sie inzwischen von mehreren Kreuzfahrtschiffen in ihrer Größe übertroffen wird, ist die Queen Mary 2 seit der Ausmusterung der Queen Elizabeth 2 im Jahr 2008 der einzige echte Ocean Liner im Dienst. Als solches ist sie das „fähigste“ Passagierschiff der Welt und zieht weiterhin alle Blicke auf sich, wo immer sie unterwegs ist. Während einer Atlantiküberquerung im Jahr 2008 musste das Schiff bei einem Sturm, der aus dem Nichts kam, mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h in Richtung New York durch Winde von 140 km/h und rauer See fahren. Wie immer nahm das Schiff dies gelassen hin, und die Decksoffiziere bemerkten, dass die Radaraufzeichnungen zeigten, dass alle anderen Schiffe auf dem Atlantik vom Wetter weggezogen waren. Auf die Frage hin: „Wie können Sie das tun?“, sagten die Offiziere mit großem Stolz: „Das ist die Queen Mary 2 … was würden Sie sonst erwarten?!“

Nachdem ich „Blue Peter“ darauf aufmerksam gemacht hatte, dass ich endlich „mein Schiff entworfen und gebaut“ hatte, stimmten sie nach anfänglicher Skepsis, ob die Jugend von heute sich dafür interessieren würde, mich am Tag der Abfahrt der Jungfernfahrt an Bord zu filmen. Dort wurde ich von Konnie Huc mit einem goldenen „Blue Peter“ Abzeichen ausgezeichnet. Das war sicherlich ein schöner Moment, und die Worte „Queen Elizabeth war ein Superliner, und nichts wie sie wird jemals wieder gebaut werden“ konnten endlich ad acta gelegt werden!

Das goldene "Blue Peter" von Stephen Payne, Marinearchitekt der QM2.
Das goldene „Blue Peter“ von Stephen Payne.

Das Internationale Maritime Museum Hamburg bedankt sich bei Dr. Stephen Payne für seine Freundschaft und Unterstützung.

Kommentare sind deaktiviert.