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Spiegel der Welt

Die Broschüre zur Sonderausstellung „Spiegel der Welt“ kann in gedruckter Form an der Kasse des Museums erworben werden. Die Broschüre im PDF Format können sie hier herunterladen.


„Den beweglichsten Stoff der Welt in trockene Formen bannen“ 

Gustav Pauli über die Fähigkeit Anton Melbyes, 1924

Schlaglichter auf Seestücke aus drei Jahrhunderten

Das Meer hat seit jeher auf eine Vielzahl bedeutender Künstler eine enorme Anziehungskraft ausgeübt. Über Jahr- hunderte hinweg galt die See als Sinnbild von Sehnsüchten, war Schauplatz großer politischer Ereignisse und Leinwand künstlerischen Schaffens. Überhaupt hätte es ohne die Seefahrt keinen Kulturtransfer über die Grenzen der Kontinente hinaus geben können. Seestücke sind mehr als einfache Abbilder maritimer Themen: Sie sind Landschafts- und Historienmalerei, Projektionsflächen für Atmosphären, Emotionen und menschliche Schicksale sowie Kulturvermittler.

„Das Gesicht des Meeres hat mich seit meiner Kindheit fasziniert,“

so Professor Peter Tamm (1928-2016), Gründer und Stifter des Internationalen Maritimen Museums Hamburg.

Seine jahrzehntelange Sammelleidenschaft hat hochkarätige Gemälde aus allen Epochen der maritimen Kunstgeschichte zusammengetragen. In den historischen Ausstellungsräumen kann das Museum nur einen Teil seiner Kunstsammlung präsentieren. Zum ersten Mal in der Geschichte des Hauses kommt im Rahmen einer Sonderausstellung eine epochenübergreifende Auswahl besonders qualitätvoller Seestücke zusammen. Die zum Teil noch nie ausgestellten Werke sollen die Vielfalt der Sammlung sowie den Facettenreichtum der Marinemalerei erfahrbar machen.

Die Ausstellung beginnt im 17. Jahrhundert der Niederlande – der Wiege der Seestücke. Die Exponate vermitteln das Wechselspiel von Kunst- und Weltgeschichte über drei Jahrhunderte hinweg; bis ins späte 19. Jahrhundert, als die Marinemalerei den Anschluss an die avantgardistischen Entwicklungen ver- liert, der Mensch nicht mehr im Fokus steht und die Seestücke als autonome Gattung ihren eigenen Weg gehen.

Das sogenannte „Goldene Zeitalter“

Amsterdam ist die reichste und innovativste Stadt des 17. Jahrhunderts. Um 1650 fahren auf den Weltmeeren mehr Schiffe unter niederländischer Flagge als unter französischer und englischer zusammen. Durch den internationalen Handel mit Gewinnen von über 300% pro Schiffsladung bescheren sie der Stadt und dem Land einen unvergleichlichen Reichtum, der zur Entwicklung einer gesellschaftlichen Mittelschicht führt. Da die Menschen weit mehr als das zum Überleben Nötige haben, investieren sie ihr Geld auch in die Kunst.

Erstmals sind die Maler nicht mehr auf wohlwollende Mäzene als Auftraggeber angewiesen, sondern können den Markt frei bedienen. Wie selbstverständlich werden Gemälde auf Märkten neben Vieh und Möbeln feilgeboten. Jährlich werden etwa 70.000 Gemälde geschaffen – eine unvergleichliche Produktivität, die bis heute beispiellos ist und als Goldenes Zeitalter in die Kunstgeschichte eingehen wird. Von großer Bedeutung ist die in den Niederlanden herrschende Religionsfreiheit, die zu einer Fokussierung auf alltägliche Motive auf Kosten christlicher Themen führt und die einfache Bevölkerung für bildwürdig erklärt. Dies geschieht nicht zufällig, da das Bürgertum eine Großzahl potenzieller Käufer stellt und diese lieber sich und ihr Leben wiedergegeben sehen als komplexe mythologische Themen, die ohnehin nur Wenige entschlüsseln können. Da die Niederländer wie kaum ein anderes Volk vom Meer leben, verwundert es kaum, dass hier die Wiege der Marinemalerei zu finden ist.

Kunst einer Seemacht

Die Niederlande verlieren ihre Vormachtstellung auf den internationalen Gewässern ab dem 18. Jahrhundert an das British Empire, das mit enormer Geschwindigkeit expandiert. Großbritannien gelingt es, sich auf Grundlage der beginnenden Industrialisierung, des Seehandels und des Erwerbs von Kolonien als Weltmacht zu etablieren. Siegreiche Seekriege gegen Spanien, die Niederlande und Frankreich ermöglichen, die Führungsrolle auf den Ozeanen einzunehmen.

In der Bevölkerung Großbritanniens wächst das Bewusstsein für die Bedeutung militärischer Erfolge zur See und damit die Nachfrage nach Kunst, die diese zur Schau stellt. Seit dem 15. Jahrhundert ist es in England üblich, dass ausländische Künstler für die Ausführung großer Aufträge ins Land kommen; für Marinemalereien sind dies insbesondere Niederländer. Diese üben großen Einfluss auf die Britische Schule aus, weshalb sich in der Folge neben den militärischen Motiven viele alltägliche Szenen finden, die in enger Tradition zu den niederländischen Seestücken stehen.

Spiegel politischer Umbrüche

Während der Französischen Revolution (1789) haben die Maler den klaren Auftrag, mit ihren Gemälden die glorreichen Taten der Republikanischen Märtyrer zu feiern. Unter der Abschaffung der Aristokratie leiden viele Künstler, weil sie ihre Gönner und Auftraggeber verlieren. Sie müssen nun malen, was sie verkaufen können. Trotz der revolutionären Rhetorik erfahren gerade die nicht-politischen Themen eine vorübergehende Blüte, darunter Stillleben und Landschaften. Mit dem Aufstieg und Fall Napoleons (1769-1821) verändern sich die Anforderungen an die Künstler erneut, die während seiner Regentschaft den „Napoleonischen Mythos“ verbildlichen sollen. Auf dessen Abdankung im Jahre 1814 folgt eine Phase der Neuorientierung; der Suche nach neuen Themen in der Kunst. Der Schwerpunkt verlagert sich von dem einen Helden zu einfachen Menschen: Heldenhafte Taten werden nun im alltäglichen Leben gefunden. Der Pariser Salon von 1824 läutet eine Veränderung in der französischen Kunstgeschichte ein. Der Gegenstand der Gemälde spielt bei den Kritikern kaum noch eine Rolle. Viel wichtiger wird der experimentelle Umgang mit den Maltechniken. Das „Wie“ spielt folglich eine größere Rolle als das „Was“.

Die Marinemalerei blüht um die Jahrhundertmitte unter den Künstlern auf, die nun die Möglichkeiten ihres Mediums er- forschen und innovative Methoden entwickeln, mit denen sie noch nie dagewesene Effekte erzielen können. Seit 1830 wird der Titel des Peintre Officiel de la Marine vergeben. Einer der ers- ten beiden Träger war Théodore Gudin (1802-1880).

Die Blütephase

In den 1820er Jahren tritt in Dänemark eine neue Generation hochtalentierter Maler in Erscheinung, deren Werke stark durch die deutsche Romantik geprägt sind. Neben nationalen Motiven werden zunehmend die Natur und das alltägliche Leben der Fischer auf die Leinwand projiziert. Die Darstellung der Szenen ist häufig eine Idealisierung der Realität. Die Künstler stellen sich vermehrt gegen die strengen Konventionen der Akademien und bringen ihr bürgerliches Selbstbewusstsein zum Ausdruck. Jene produktive Phase in der dänischen Kunstgeschichte, die ihren Höhepunkt zwischen 1820-1850 erreicht, wird in Anlehnung an die niederländische Kunstgeschichte als Goldenes Zeitalter Dänemarks bezeichnet.

Es ist erstaunlich, dass diese kulturelle Blütephase in einer Zeit des wirtschaftlichen Abschwungs und politischer Instabilität möglich war. Die Nachfrage nach nationaler Kunst steigt erneut nach der Aufhebung der absoluten Monarchie 1849 und im Besonderen nach den Kriegen um Schleswig und Holstein, da der Verlust von Südjütland an Preußen 1864 tiefe Einschnitte in der nationalen Identität der Dänen hinterließ.

Ein später Aufbruch

Obwohl sich in anderen Ländern Europas bereits vor über 200 Jahren eine ausgeprägte Tradition der Marinemalerei entwickelt hat, finden die Seestücke erst spät Einzug in die deutsche Kunstgeschichte. Da es vor der Reichsgründung 1871 weder eine nationale Flotte noch ein nennenswertes Seeinteresse gibt, schlagen sich die Motive auch nicht in der Malerei nieder. Nur dort, wo die Meere einen besonderen politischen oder ökonomischen Bezug zur Gesellschaft haben, kann sich die Marinemalerei zu einer eigenständigen Gattung entwickeln. So beschränkt sich der Kreis der auf Seestücke spezialisierten deutschen Maler im 19. Jahrhundert auf wenige Namen aus akademischen Kreisen in Berlin, Düsseldorf und Dresden. Aufgrund des Fehlens einer Marine rücken andere Motive in den Fokus der Künstler, die sich stärker auf den landschaftsmalerischen Charakter der Szenen konzentrieren.

Einen späten Aufbruch erfährt die Marinemalerei durch die Flottenpolitik Kaiser Wilhelms II. Dessen sogenannte Weltpolitik und der starke Ausbau der Marine fördern die Nachfrage nach maritimer Kunst, die wesentlich von talentierten Autodidakten geprägt ist, die in der Gunst des Kaisers stehen. Die Marinemalerei wird ganz gezielt für Propagandazwecke genutzt und soll in der Bevölkerung die zunehmende Größe der Kriegsflotte veranschaulichen. Eine ähnliche Funktion haben die Seestücke in der Zeit des Nationalsozialismus. Nach den Weltkriegen ist der militärische Aspekt in der deutschen Marinemalerei deutlich abgeflacht. Es entwickelt sich eine Vorliebe für alte Windjammer und die raue See; ein mitunter nostalgisch anmutender Blick in die Vergangenheit.

Die persönlichste Kunst


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  • Bettina Baumgärtel u.a. (Hg.), Die Düsseldorfer Malerschule und ihre internationale Ausstrahlung 1819–1918 (2 Bde.), Petersberg 2011.
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  • Norbert Wolf, Klassizismus und Romantik (= Reclam Kunst-Epo- chen; Bd. 9), Stuttgart 2004.

Herausgeber

Peter Tamm Sen. Stiftung Internationales Maritimes Museum Hamburg

Vorstand:

Peter Tamm
Jan Tersteegen

Kurator:

Patrick Rivière

 Ausstellungsgestaltung:

Philip von Klösterlein

Digitalisierung:

Katharina Tersteegen

Fundraising:

Ralf Krogmann
Antje Reineward

Haustechnik:

Heiko Lorenz
Jörg Durst
Frank Maier

Logistik:

Wilhelm Kirchhöfer
Vincent Loraine

Mediendesign:

Hauke Jörgensen

Onlinekommunikation:

Damián Morán Dauchez

Presse:

Jens Meyer-Odewald

Restaurierung:

Frédéric Lebas

Dank:

Thomas Bantle
Dr. Günter Brinkhoff Milena Del Duca
Dr. Axel Grießmer
Karin Hammer
Gerrit Menzel
Esther u. Alexander Sairally


Die Ausstellung wurde ermöglicht durch die großzügige Unterstützung von

  • Gert Hinnerk Behlmer
  • Claus G. Budelmann
  • Susanne und Karl Gernandt
  • Sabine Timm-Heikes und Jan-Hendrik Heikes
  • Gebr. Heinemann SE & Co. KG
  • Gerresheim Serviert GmbH & Co. KG
  • Barbara und Ian Karan Stiftung
  • MSC GERMANY S.A. & CO. KG
  • Prof. Dr. Michael Otto
  • Engelke Schümann
  • Giselher Schultz-Berndt
  • Bernhard Schulte GmbH & Co. KG
  • Sea Cloud Cruises
  • M.M.Warburg & CO (AG & Co.)
  • Warburg-Melchior-Olearius-Stiftung
  • Hans-Werner Weisser
  • Wyker Dampfschiffs-Reederei Föhr-Amrum GmbH

sowie Förderern, die nicht namentlich genannt werden möchten.